Durch die Coronazeit ist das Immunsystem in aller Munde und nimmt einen noch höheren Stellenwert ein als der Faktor der eigenen Gesundheit. Schon vor dem Ausbruch von Covid-19 wurde der positive Nutzen von Krafttraining auf das Immunsystem durch Studien belegt. Doch wie wirkt sich Training auf das Immunsystem genau aus?
Die Schutzbarrieren des Menschen
Unser Abwehrsystem ist hochkomplex und besteht aus verschiedenen Schutzbarrieren. Die erste Schutzbarriere, die Erreger durchdringen müssen, ist eine rein mechanische, an der unterschiedliche Bereiche des Körpers beteiligt sind. Dazu gehören u.a. die Schleimhäute der oberen Atemwege, der Schutzmantel der Haut oder die Salzsäure im Magen. Der Mensch verfügt somit über Instrumente, die das Ansiedeln von gefährlichen Mikroorganismen schon vor dem Eindringen in den Körper weitgehend verhindern können. Gewisse Faktoren verändern aber diese Schutzbarrieren. Rauchen als Beispiel zerstört die oberste Zellschicht der Schleimhäute und die Erreger können dadurch die erste Schutzbarriere besser durchbrechen.
Die zweite Schutzbarriere ist die unspezifische Abwehrreaktion. Diese erfolgt sehr schnell und unabhängig von der Art des Erregers. Verschiedene Leukozyten (Granulozyten, Monozyten und Makrophagen) sind Teil des unspezifischen Abwehrsystems und befinden sich meist passiv in den lymphatischen Organen und sind nicht auf der Suche nach Fremdkörpern. Dringt ein Erreger in den Körper ein, werden alle Abwehrzellen aktiviert. Innerhalb kürzester Zeit kann die Anzahl der Abwehrzellen im Blut enorm steigen. Ein wichtiger Vorgang der unspezifischen Abwehrreaktion ist die Entzündungsreaktion, welche durch die Freisetzung von Mediatoren zu den typischen Entzündungszeichen (Rötung, Schwellung, Wärme, Schmerzen) führt. Die eingedrungenen Mikroorganismen werden nun durch die Abwehrzellen umflossen, eingeschlossen, verdaut und dadurch unschädlich gemacht.
Die dritte Schutzbarriere ist die spezifische Abwehrreaktion. Bestimmte Merkmale von körperfremden Strukturen, sogenannten Antigenen, können nun durch Erkennungsmoleküle der Abwehrzellen, welche exakt zu diesen Antigenen passen, erkannt werden. Diese Erkennungsmoleküle sind die Antikörper. Die Abwehrzellen des spezifischen Immunsystems sind die T- und B-Lymphozyten, welche mit Fremdkörpern durch die Bindungsstellen der Antikörper miteinander verklumpen und anschliessend zerstört werden. Von Beginn einer Infektion bis zur Bereitstellung einer ausreichenden Zahl an Antikörpern vergeht durchschnittlich eine Woche, wodurch die spezifische Abwehrreaktion deutlich langsamer ist als die unspezifische. Dafür ist sie aber sehr zielgerichtet und hat eine Gedächtnisfunktion, wodurch bei einem erneuten Kontakt mit dem spezifischen Erreger sehr viel schneller Antikörper produziert werden. Wie gut die ersten beiden Abwehrbarrieren funktionieren, hängt mehr vom Lebensstil der Person als von ihrem Alter ab. Genügend Schlaf, gesunde Ernährung, nicht Rauchen, aktives Kraft-, Beweglichkeits- und Ausdauertraining sowie ein gutes Stressmanagement haben enormen Einfluss auf die Abwehrkraft der ersten beiden Schutzsysteme. Wer diese Abwehrkraft sein Leben lang pflegt, erreicht eine höhere Wahrscheinlichkeit, im Falle einer Infektion nur einen milden Krankheitsverlauf durchmachen zu müssen. Dies, weil die Schutzbarrieren besser funktionieren und dadurch weniger Erreger bis ins Zielorgan vordringen!
Wie wirkt sich Training auf das Immunsystem aus?
Ganz allgemein wurde festgestellt, dass inaktive Personen ein höheres Erkrankungsrisiko haben als Personen, die regelmässig ein gesundheitsorientiertes Training absolvieren. Begründet wird dies damit, dass die Sofortreaktion des Immunsystems durch den Trainingsreiz stimuliert und somit auch trainiert wird. Muskeln produzieren unter Belastung Botenstoffe, die sogenannten Myokine, die der Kommunikation zwischen den Organen dienen und in der Lage sind, uns vor Erkrankungen wirksam zu schützen. Sie wandern zu Organen, um dort in vielfältiger und gesunder Weise zu wirken. Offensichtlich sind es dabei gerade überschwellige Belastungen, die diese wichtigen Botenstoffe in grosser Zahl in unseren Kreislauf ausschütten und uns damit besonders wirksam vor Erkrankungen schützen.
Die spezifische Abwehrreaktion des Immunsystems eines älteren Menschen reagiert langsamer und weniger variabel auf die grosse Anzahl von Erregern, da die Zahl der T-Lymphozyten um ca. 25% zurück geht. Lange Inaktivität führt zu einem Abbau an T-Lymphozyten, welche für die Immunabwehr im Körper verantwortlich sind. Im Koma zum Beispiel verlieren Personen pro Tag 5% ihrer T-Lymphozyten. Die B-Lymphozyten jüngerer Menschen sammeln fortwährend Mutationen an und können so mit einem breiteren Repertoire auf spezifische Erreger reagieren. Diese Variabilität lässt im Alter nach, weshalb ältere Menschen schlechter auf neue Virusmutationen reagieren. Geht nun die Lymphozytenanzahl auf 0 Prozent zurück, kommt das einer Tiefenentladung gleich und es gibt keinen Weg zurück ins Leben. Man kann sich dies vorstellen wie die Batterie eines Autos, welche ebenfalls nach langem Stehen nicht mehr anspringt. Da bei älteren Menschen die «Lebensbatterie» nicht mehr so gut aufgeladen ist wie bei jungen Menschen, sind lange Liegephasen und eine zusätzliche Belastung durch einen Virus für sie eine Verkettung ungünstigster Faktoren, was ihre Gesundung betrifft. Aus diesem Grund sind ältere Menschen von dem Virus wesentlich stärker betroffen als jüngere Menschen, deren «Lebensbatterie» gut aufgeladen ist. Deshalb sollte jeder Gesunde darauf achten, durch Muskelbelastungen seine «Lebensbatterie» in einem guten «Ladezustand» zu halten.
Wie bereits erwähnt, sind es gerade die überschwelligen Belastungen, die zu einer starken Produktion von Myokinen führen und damit unser Immunsystem trainieren. Belastungen also, die über unsere Alltags- aktivitäten weit hinausgehen. Alles was nicht über eine Alltagsbewegung hinausgeht, erreicht diese Werte nicht! Dass es gerade die überschwelligen Belastungsreize sind, die unser Immunsystem trainieren, kennen wir im Zusammenhang mit Hitze und Kälte. Gehen wir nämlich vom Warmen ins Kalte, holen wir uns schneller mal eine Erkältung. Gehen wir aber vom extrem Warmen, also aus der Sauna, ins extrem Kalte, also ins Tauchbecken, dann wird unser Immunsystem trainiert, um uns vor den Alltagsbelastungen besser schützen zu können. Wie im Beispiel der Sauna sind es im Training offensichtlich die überschwelligen Muskelbelastungen durch ein regelmässiges Muskeltraining, die unseren Körper auch im Falle einer Virusinfektion wirkungsvoll schützen. Es gibt über 3000 Myokine. Eines der ersten Myokine, das Interleukin-6, stärkt das Immunsystem, indem es für die Vermehrung der natürlichen Killerzellen sorgt. Je intensiver die muskuläre Arbeit, desto höher die Produktion von IL-6. Myokine sind verantwortlich für eine Entzündungshemmung im Körper, indem sie unter anderem den schädigenden Effekten der Adipokine aus dem Fettgewebe entgegenwirken und selbst schützende Vorgänge anregen. Mit niedrigen Entzündungswerten im Körper kann das eigene Immunsystem sich viel besser auf Fremdkörper von aussen konzentrieren. Die Anzahl Immunzellen korreliert übrigens mit dem Viszeralfettwert, welcher für permanente Entzündungen im Körper sorgt. Regelmässiges Krafttraining mit richtigen Reizen vermindert nicht das Ansteckungsrisiko, aber es erhöht die Chance, im Falle einer Virus-Infektion nur einen milden Verlauf zu durchleben! Zudem kann die Immunabwehr nicht einfach pauschal am Jahrgang festgemacht werden. Sie ist hochgradig individuell und hängt davon ab, wieviel man selbst in einen gesunden Lebensstil investiert.